In einer Familie by Heinrich Mann

In einer Familie by Heinrich Mann

Autor:Heinrich Mann [Mann, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2006-05-01T08:17:54+00:00


ten Mann, der mit seinen greisenhaften Leiden seine

Umgebung nervös machte, vollends unleidlich zu

finden. Endlich jedoch, als zufäl ig mit ein paar Wor-

ten von Musik die Rede gewesen war, machte Herr v.

Grubeck, vielleicht nur, um seine üble Stimmung

nicht zu auffällig werden zu lassen, ein Vorschlag.

»Du könntest uns etwas Musik machen,« sagte er

zu Dora gewendet.

Wellkamps immer auf der Lauer befindliche Lei-

denschaft erhielt neue Nahrung, als er die junge Frau

ohne weiteres annehmen sah. Sie hatte bisher in den

seltensten Fällen, selbst wenn er zur Zeit ihres

glücklichsten Verhältnisses darum gebeten, einge-

willigt, in Gesellschaft zu spielen. Sie hatte ihm ge-

sagt, sie könne nur in Gegenwart eines einzigen, nur

in der Gegenwart dessen spielen, dem sie etwas zu

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sagen habe. Sie fühle dann, wie er ihr im Herzen er-

widere, und so sei die Musik für sie ein Liebesaus-

tausch wie ein anderer.

Es traf sich, daß Dora an diesem Abend, der Be-

quemlichkeit halber, wie sie sagte, jenes hell-violette

Gewand angelegt, das mit dem Ton des Musikzim-

mers harmonierte und das sie an jenem ersten Mor-

gen ihrer Intimität getragen. Schon dies erschien

dem Eifersüchtigen als Entweihung, ja Beleidigung,

und er überlegte, während er als der Letzte hinüber-

ging, ob es würdiger wäre, der Schamlosen, wie er sie

nannte, dadurch seine Nichtachtung zu bezeigen,

daß er sich sogleich verabschiedete. Aber er brachte

es, mit der schrecklichen Neugierde des Leidens,

nicht über sich, seine Pein abzukürzen, und blieb. Er

saß in sich versunken an Annas Seite, ohne zu füh-

len, wie die junge Frau ihn berührte, um ihn näher an

sich zu ziehen, als fürchtete sie von der Musik und

zumal von derjenigen, welche Dora wählte, einen

schlimmen Einfluß auf seine Erregbarkeit. Und so

hörte er Dora nun dieselben Lieder singen, die sie

ehemals für ihn gehabt, »mit denen sie ihn besser

bethört«, sagte er sich mit Bitterkeit. Nach jedem

Stücke sah er sie dankbar ihrem Gatten zulächeln,

der ihr, da die beiden Andern schwiegen, als der,

welcher aufgefordert, wohl einige Artigkeiten sagen

mußte: jetzt war das alles für ihn berechnet, dachte

Wellkamp. Das letzte war jenes »Lied der Gha-

wâze,« in dessen Vortrag er diesmal, vielleicht nur

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von seiner eigenen Stimmung hinzugefügt, noch

mehr Ausdruck zu finden meinte, als damals. Auf-

blickend gewahrte er wieder wie damals über ihr

mattblondes Haar die Lichtreflexe spielen, die er so

oft mit seinen Lippen verfolgt hatte, und auf ihren

Wangen sah er dieselbe leichte, wie angehauchte

Röte liegen wie einst, als sie ihm, nur ihm al ein ihre

Liebe sang.

»Komödiantin!«

Er fuhr erschreckt zusammen, in Zweifel, ob das

Wort etwa gehört sei. Aber es war ihm nur wie ein

Seufzer entfahren. Er war sehr blaß geworden und es

schwindelte ihm, so daß er sich ohne Weigerung von

Anna, die seinen Arm fest in dem ihren hielt, hinaus-

geleiten ließ. Es war nur Dora da, um zu bemerken,

wie Herr v. Grubeck den Beiden mit einem Aus-

druck nachsah, in welchem Bitterkeit und Mitleid

mit einer tiefen, peinigenden Ratlosigkeit gemischt

erschienen.

Die Nacht brachte Wellkamp unter dem inneren

Aufruhr zu, den diese für sein Gefühl abscheuliche,

frevelhafte Scene hervorgerufen. Durch lange Stun-

den fand er immer nur den einen, verzweifelt wie-

derholten Ausruf, den er in den Kissen erstickte: »Es

ist unerträglich! Es ist unerträglich!« Was? und

warum? hätte er entweder nicht zu sagen gewußt

oder er mochte es sich nicht gestehen. Und eben we-

gen ihrer Unvernünftigkeit war er gegen die Forde-

rungen seines Instinkts um so ohnmächtiger.



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